Ein universaler Denker
Hugo Kükelhaus
"Die Entwicklung des Menschen wird von derjenigen Umwelt optimal gefördert, die eine Mannigfaltigkeit wohldosierter Reize gewährleistet. Ungeachtet der Frage, ob diese Reizwelt von physischen oder sozialen Verhältnissen und Faktoren aufgebaut ist - die Vielgestaltigkeit der Umwelt ist Lebensbedingung."
Mit diesem Zitat von Hugo Kükelhaus lässt sich noch am ehesten sein vielschichtiges Werk zu einem Kerngedanken verdichten. Es ging ihm in seinen Arbeiten immer wieder darum, die Tätigkeit der Sinne als Teil unseres menschlichen Daseins erfahrbar werden zu lassen und ihre Wirkung in der Beziehung sowohl zu uns selbst als auch zur menschlichen, natürlichen und dinglichen Umwelt bewußt zu machen.
Vor diesem Hintergrund hat Hugo Kükelhaus nicht nur auf zentrale Probleme unserer Zeit aufmerksam gemacht, sondern suchte immer auch Wege zu ihrer Überwindung. Gleichzeitig war er in vielfältigen Bereichen gestalterisch und künstlerisch tätig.
Wer war Hugo Kükelhaus
"Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeiten unserer Organe und unserer Sinne, ist ihre Ausschaltung, Unterdrückung ... Was aufbaut, ist Entfaltung. Entfaltung durch die Auseinandersetzung mit einer mich im Ganzen herausfordernden Welt."
(Hugo Kükelhaus)
Hugo Kükelhaus war ein universaler Denker, der auf zentrale Probleme unserer Zeit aufmerksam gemacht hat, aber auch Wege zu ihrer Überwindung wies. Er sah den Menschen der modernen, technischen Zivilisation gegenüber seinen leiblichen und seelischen Kräften verarmen und aus dem Lot geraten. Ursächlich hierfür erkannte er ein Wertesystem, das den Intellekt aus der Ganzheit der menschlichen Fähigkeiten einseitig heraushebt, sowie eine Technik und Umweltgestaltung, die auf eine Entlastung des Körpers und der Sinne statt auf deren Herausforderung angelegt ist.
Vortragstätigkeit
Seine kulturkritischen und humanökologischen Erkenntnisse und Anliegen verbreitete Hugo Kükelhaus über viele Jahre hinweg durch eine intensive Vortrags- und Lehrtätigkeit sowie durch zahlreiche Schriften und Vorträge. Im Jahre 1934 veröffentlichte er sein erstes großes Werk Urzahl und Gebärde, dem viele andere folgten, u. a. Werde Tischler (1936), Das Wort des Johannes (1953), Organismus und Technik (1971), Unmenschliche Architektur (1973) und Entfaltung der Sinne (mit Rudolf zur Lippe, 1982).
Lange Zeit stand Kükelhaus als eine Art Rufer in der Wüste da, wenn er vortrug und schrieb, dass es auf das Sehen dessen, was vor Augen liegt, ankomme, auf das "geringe Tun" der menschlichen Sinnes- und Wahrnehmungsorgane, auf deren Übung durch Inanspruchnahme und Herausforderung: "Wir müssen es tun. Erfahren hat eben mit fahren zu tun. Hier liegt die Hürde. Wir sind seit Jahrhunderten darin geübt, die Erfahrung durch die Kenntnis zu ersetzen. Und leben in einer Ersatzwelt!"
Das Erfahrungsfeld
Erst mit der Entwicklung des Erfahrungsfeldes zur Entfaltung der Sinne gelang es Kükelhaus, einem breiten Publikum sein Anliegen nahe zu bringen. Als Wanderausstellung wurde das Erfahrungsfeld seit der Mitte der 70er Jahre an zahlreichen Orten im In- und Ausland gezeigt. Im aktiven Umgang mit den ca. 40 Experimentier- und Spielstationen wird den Menschen die Möglichkeit geboten, die Gesetzlichkeiten der äußeren Natur (wie z.B. Schwingung, Schwerkraft, Polarität, Farbe usw.) in ihren gegenseitigen Wirkzusammenhängen mit den physiologischen Gesetzlichkeiten ihrer inneren Natur, sprich der Sinnesvorgänge und Körperbewegungen, vegetativ unmittelbar zu erfahren. Die - oft schon verkümmerte - Fähigkeit zur Sinneserfahrung wird im Erfahrungsfeld wieder angeregt oder erweitert, so dass man neu erleben kann, " ... wie das Auge sieht - das Ohr hört - die Nase riecht - die Haut fühlt - die Finger tasten - der Fuß (ver)steht - die Hand (be)greift das Gehirn denkt - die Lunge atmet - das Blut pulst - der Körper schwingt - ... ."
Das Erfahrungsfeld war für Kükelhaus aber nur ein methodischer Ansatz, sensibilisierend, bewusst machend und ausgleichend auf die von ihm aufgezeigten Defizite zu wirken. Und solange es nicht zu einer grundsätzlichen Umorientierung und Umgestaltung unserer Welt kommt, wird dieses Erfahrungsfeld - und das, was in Anlehnung daran vielerorts neu aufgebaut wird - seine Aktualität und Notwendigkeit nicht einbüßen.
... wie der Fuß (ver)steht und fühlt ...
Kükelhaus und die Wissenschaft
Die eher späte Rezeption der Gedanken von Hugo Kükelhaus im wissenschaftlichen Bereich hängt sicher mit den Schwierigkeiten zusammen, die sein integraler, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften vermittelnder Denkansatz vielfach bereitete. Seitdem aber – insbesondere im Hinblick auf Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Lernstörungen bei Kindern – die negativen Folgen einer jahrzehntelangen Geringschätzung vielfältigster körperlicher und sinnlicher Erfahrungsmöglichkeiten immer deutlicher werden, richtet sich heute – in besonderem Maße vermittelt durch das Erfahrungsfeld – die Aufmerksamkeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen auf Hugo Kükelhaus, der als Wegbereiter eines ganzheitlichen Ansatzes entdeckt wird, der die Leib- und Sinneserfahrungen im Bildungsprozess ernst nimmt.
"Es ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, dass Kükelhaus mit seinen Gedanken zu Fragen der Pädagogik seiner Zeit weit voraus war und schon sehr früh in Bereiche vorgestoßen ist, die erst im letzten Jahrzehnt von der Pädagogik zunehmend in ihrer Bedeutung erkannt und thematisiert worden sind. Insbesondere ist hiermit die Wiederentdeckung des Körpers und der Sinne in ihrer Bedeutung für die (Heil-)Pädagogik gemeint ... Kükelhaus setzte sich ein für eine Rehabilitation der Sinne im Unterricht, für eine ganzheitliche Bildung des Menschen ..., für ein auf Wahrnehmung, Aktivität, Erfahrung, Spiel und Freude beruhendes Lernen, in das der situative und architektonische Kontext mit einbezogen sind,"
so der Heilpädagoge Walter Dreher von der Universität Köln.
Architektur
Lebhaft beschäftigte Kükelhaus sich auch mit Fragen des Bauens und Wohnens. Im Bereich der Architektur hat er seit Anfang der 70er Jahre die sich immer lebensfeindlicher gebärdenden Tendenzen der damaligen Architektur wesentlich kritisiert und die Grundlinien eines organlogischen Bauens entwickelt, einer an den Bedürfnissen der menschlichen Sinne und des menschlichen Organismus orientierten Bauweise. Für Kükelhaus war das menschengerechte, maßvolle Bauen und Gestalten ein lebenslanges erzieherisches Anliegen.
Vielfalt
Über die bisher angesprochenen Bereiche hinaus arbeitete Hugo Kükelhaus gestalterisch und künstlerisch in vielfältiger Form: als Entwerfer von Möbeln, als lllustrator (z.B. von handwerklichen Herstellungsverfahren) und Grafiker, als Bildhauer, als Zeichner und Verfasser von Bildgeschichten und Parabeln.
Ein "unentdeckter Guru"?
Aufgrund seiner elementaren Lebenslehre, die mystische und östlich geprägte Weisheiten sowie moderne naturwissenschaftliche Kenntnisse auf eine ganz eigenständige Art und Weise integriert, wurde Kükelhaus gelegentlich als "unentdeckter Guru" bezeichnet. Doch ihm selbst waren Anhänger und Bewunderer zeitlebens suspekt. Er wollte nie eine Weltanschauung mit unabänderlichen Wahrheiten verbreiten - viel zu groß war die in seinen grundlegenden Gedanken implizierte Offenheit.
Kükelhaus wollte Menschen unmittelbare Erfahrungen ermöglichen, um sie anzuregen und zu ermutigen, ihre Lebensbereiche so zu gestalten, dass sie sich mit all ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten entfalten können, anstatt sich immer mehr die eigene Lebensgrundlage zu entziehen.
Was Kükelhaus hinterlassen hat: Aufforderungen zum Tun, Methoden statt Meinungen, Anleitungen zur Selbsterfahrung durch Eigentätigkeit - zu einem Leben im vollen Sinne eben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.